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i t t e r
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Z e i t s c h r i f t f ü r
M u s i k - u n d S o z i a l g e s c h i
c h t e (ZMUSO)
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Folkrevival in Slowenien?* (I)
Werner Hinze im INFO Nr. 12 v. Oktober
1992
Ende Mai diesen Jahres fand in Ljubljana
das alljährliche Musikfest von Druga Godba (Andere Musik)
statt. Für eine Organisation, deren Hauptaugenmerk dem
Jazz und experimenteller Musik gilt, nahmen dabei die
folkloristischen Darbietungen einen beachtlichen Stellenwert
ein. Neben der „Wiener Tschuschenkapelle“ (Musik
aus dem Balkan), Calicanto (Italienische Folklore) oder dem
„Ansambel Pere Petrovica“ (Roma) - das wegen der
politischen Situation zwischen Slowenen, Serben und Kroaten
leider nicht über die Grenze kam - spielten drei neue
slowenische Gruppen, deren Mitglieder sich aus alten und jungen
Musikanten zusammensetzten: Marko banda aus Beltinci
(Prekmurje), Kurja koža aus Celje (Štajerska) und
Pišcaci aus Koper (Istrien). In seiner Anmoderation
benutzte Peter Barbaric, einer der Organisatoren, den Terminus
„slovenisches Folkrevival“, eine Formulierung, die
mir in diesem Jahr in Sloweniens Hauptstadt ausgesprochen
häufig begegnete, so daß ich neugierig versuchte,
den Spuren dieses Phänomens nachzugehen(1). In der
Folge werde ich die musikalische Herkunft der drei o.g. Gruppen
aufzeigen und mit der aktuellen Situation in Verbindung
bringen. Dem darstellenden Abschnitt folgen Anmerkungen zu
einem Gespräch, das ich mit der Musikwissenschaftlerin,
Ethnologin und freischaffenden Künstlerin Mira
Omerzel-Terlep führte, sowie eigene Beobachtungen und
Gedanken.
Marko banda und die Tradition des
Prekmurje
Samo Bubna (Geige), Sandi Soboca
(Cymbalon), Boštan Gros (Klarinette) und Slavko Petek
(Kontrabaß) kommen aus dem nordöstlich gelegenen
Beltinci, einem Ort, in dem auch die „Beltinška
banda - Kociper, Baranja“ (2) beheimatet ist, die seit
einiger Zeit auch über die Grenzen Sloweniens hinaus
bekannt geworden ist. Seit über fünfzig Jahren pflegt
die „Beltinška banda“ die Musik des Prekmurje.
Ihre ältesten Musiker sind der Bassist Jozi Kociper (geb.
1905) und sein Bruder, der Primgeiger, Janci (geb. 1909), sowie
der Gastwirt und Cymbalspieler Miško Baranja (geb.
1920).(3) Sie gehören damit zu den letzten
Vertretern einer Spezies von Folkloristen, die seit dem Ende
des Zweiten Weltkrieges dem jugoslawischen Staatsfolklorismus
weichen mußten. Im Prekmurje leben neben Slowenen auch
Zigeuner und Ungarn, deren unterschiedliche Einflüsse in
die volksmusikalische Tradition Eingang gefunden haben.
Darüber hinaus übten die Lieder aus der kroatischen
Region Medjmuje eine besondere Anziehungskraft aus, doch auch
Schlager, Operetten oder die unterschiedlichen Modetänze
erweiterten das Repertoire der Cymbal-Banden. Vor 1945
bestanden die Kapellen aus einem Cymbalspieler, zwei bis vier
Geigern, ein oder zwei Violaspielern, einem Bassisten und einem
Klarinettisten. Benannt wurden die Musikgruppen meistens nach
ihrem Primgeiger. Zum Beginn der sozialistischen Republik gab
es noch ungefähr zehn dieser Cymbal-Banden.(4) Aus den
beiden Familien Kociper und Baranja rekrutiert sich der Kern
der letzten Gruppe, die in dieser Tradition heute noch
musiziert.
Marko Bandas Repertoire entspricht exakt
dieser musikalischen Tradition. Von den fünf
Musikvorträgen, die sie auf dem o.g. Konzert zum besten
gaben, sind allein vier auf einer Kassette der Beltinška
Banda zu hören.(5) Ihr unprofessioneller Vortrag
wird zwar nicht so ausgeprägt vom Vorspiel des Cymbal
bestimmt, aber die musikalischen Fähigkeiten lassen auf
eine gute Schule schließen, die längerfristiges
Lernen demonstriert.
Das Panflöten-Ensemble Kurja koža aus
Celje
Drago und Peter Kunej und Nenad Firšt
aus Celje haben sich vor ungefähr einem Jahr als Trio
Kurja koža (Hühnerhaut) zusammengeschlossen und
führen die Tradition der Panflöte mit beachtlicher
Virtuosität und rhythmischer Eleganz fort. Panflöten
sind bereits vor 2.500 Jahren auf dem Gebiet des heutigen
8tajerska (Steiermark) und Dolenjska nachgewiesen. Alleiniger
Vertreter des heutigen Panflötenbaus dieser Region aber
ist Franc Laporšek aus Jablovec in Stajerska. (6)
Der 1930 in Stanošin geborene Waldarbeiter, Bauer
und Musikant hat die Herstellungsweise von seinem Vater Matevz
gelernt. Zum Bau einer Panflöte werden die im Herbst
geschnittenen, unterschiedlich langen Schilfröhren mit
Schusterzwirn zwischen zwei kleinen Brettchen befestigt. Die
richtige Stimmung der einzelnen „glasilke“ entnimmt
Franc Lapo8ek einem Musterexemplar aus dem Nachlaß seines
Vater, zur Tonregulierung dient ihm eine Mischung aus
Bienenwachs und Schusterpech. Mira Omerzel-Terlep schreibt dazu:
„Die Stimmung der Panflöte
erscheint uns ungewöhnlich oder sogar unsystematisch und
ungenau. Dem ist aber nicht so. In den achtziger Jahren hat mir
Franc eine Reihe verschieden großer Panflöten
angefertigt. Ein paar Jahre hat es gedauert, daß sie mir
schon zu klingen begannen und daß ich anfing, ihr
Stimmung zu verstehen. Wie die meisten Flöten
häuslicher Bauart ist auch die Panflöte nicht,
beziehungsweise nur annähernd, temperiert. Der Hersteller
und Musikant mit seinem vom Halbtonausgleich, der von den
Radios und Fernsehern aufgedrängt wird, unbelasteten Ohr,
schafft Instrumente, deren zwei sich niemals gleichen.“
(7)
Pišcaci aus Istrien
Mit Geige (vijulin) und kleinem Baß
(bajs) führt das Duo Pišcaci eine eigenwillige
volksmusikalische Tradition Nordund Mittel-Istriens fort, die
streckenweise zeigt, daß die slowenische Folklore nicht
nur im Rezija-Tal archaische Rudimente erhalten hat. Neben dem
Bugarenje genannten Gesangsstil Nord- Istriens benutzen sie die
nicht-temperierte Tonleiter, die in dieser Art Volksmusik
Tradition hat. Ihr Musikstil ist heute nur noch an zwei Orten
anzutreffen: dem „Kras“ genannten Gro9njan Karst,
deren Zentrum die Hafenstadt Koper ist und dem kroatischen
Šculci.
Der bajs wurde aus dem berühmten
istrischen Holz meistens in Heimarbeit hergestellt. Die zwei in
Quintenabstand (G-D) gestimmten Saiten werden in der Regel mit
einem kurzen Bogen gespielt. Seine technischen
Möglichkeiten sind naturgemäß begrenzt und
sorgen für eine charakteristische Baßbegleitung.
Manchmal wurde auch die kleine vijulin in Handarbeit
hergestellt, in der Regel allerdings gekauft. Die istrischen
Volksmusikanten spielen traditionell, das heißt, der
Körper des Instruments ruht auf dem Handgelenk des
Spielers, während der Steg zwischen Daumen und den vier
Fingern gehalten wird. Eine Haltung, die dazu führt,
daß die Spieler das Instrument lediglich in der ersten
Lage spielen. Die Musiker dieser Region spielen als Duo, Trio
oder Quartett in den unterschiedlichsten Zusammensetzungen
hauptsächlich Tanzmusik. Die eingeschränkten
musikalischen und technischen Möglichkeiten beider
Instrumente schaffen sich durch die Verbindung mit archaischen
Melodien und dem bei slowenischen Volksmusikinstrumenten
üblichen nicht-temperierten Stil ihre besondere Klangwelt.
Die teilweise darin enthaltene Monotonie kann die Zuhörer
bei einigen Stücken leicht in Mystik abgleiten lassen,
wenn sie sich auf den fremden Klang einlassen. Für eine
interessante Vielseitigkeit sorgt das Repertoire, das neben den
Modeeinflüssen der letzten zwei Jahrhunderte Spuren der
unterschiedlichen Herrscher und Bewohner dieses Landstrichs
aufzeigt. Neben den slowenischen, kroatischen und italienischen
Elementen sind beispielsweise auch deutsche Melodiefragmente
erkennbar.
Die beiden Musiker des Duo Pišcaci,
Marino Kranjac und Emil Zonta, erweitern diese Tradition durch
die zusätzliche Präsentation anderer Instrumente, die
in Istrien gespielt wurden. Beim Konzert in Kri9anke spielten
sie ihre Tänze u.a. mit zwei Schalmeien oder einem
Dudelsack, ähnlich verfahren sie auch auf ihrer Kassette
„Starinski ples“ (alte Tänze). (8) Zu dem
seltenen Gesang der istrischen Musikanten vermerkt Dario
Marušic im Begleittext der Kassette:
„Der vokale Teil der Kassette stellt
zwei Lieder vor (das eine slowenischer, das andere romanischer
Herkunft) die traditionell als Pause zwischen die einzelnen
Volkstänze geflochten werden. Verschiedene Gesänge
dienen als Paraphrasen innerhalb der Tänze den Musikanten
um die Melodie in Erinnerung zu behalten.“ (9)
* Zeichenerklärung: c wie:
tsch; š wie: sch;
ž stimmhaftes j, wie in Garage.
1 Meine Ausführungen
ergänzen und erweitern die beiden Aufsätze
1) Marina und Werner Hinze,
„Slowenien - Separatismus zwischen Ost und West", In:
Dokumente Bd. 2 (der Tagung des e.V. vom 18. November 1989),
Hamburg 1991.
2) Slowenien nach dem Krieg.
Impressionen aus Ljubljana im Juli / August 1991. In: INFO Nr.
10 des Vereins, Dezember 1991.
2 In der Regel spricht man heute nur
von „Beltinška Banda", da es die letzte
derartige Gruppe ist. Früher wurden die Bandas nach ihrem
Primgeiger benannt. Daß der vollständige Name der
Gruppe die beiden Familien Kociper und Baranja benennt, zeigt
deren Wertschätzung ebenso wie die veränderten
Verhältnisse.
3 Vgl. Mira Omerzel-Terlep, Der
Bleiche Mond / Bledi Mesec (CD bei Trikont erschienen; genaue
Angabe am Ende des Aufsatzes. Weitere Musiker sind lt. der
Kassette BELTINŠKA BANDA, Ljudska glasba iz Prekmurja.
DRUGA GODBA, Konzert vom 10.3.1987: Šanji Ratko (1.
Geige), Didi Borovšak (2. Geige), Ivek Baranja (1.
Kontra), Elimir Baranja (2. Kontra) Pišta Banko (1.
Flöte), Tone Rajnar (2. Flöte), Slavko Ratko
(Baß). Gesanglich begleitet wurden sie von Darja Žalik
und Izidor Gujtman.
4 Ich übernehme den
slowenischen Ausdruck „Bande", da mir das engl.
„band" in diesem Zusammenhang unpassend erscheint
und Bande als deutsche Übersetzung üblich ist.
Außerdem war dieser Terminus lange Zeit in der deutschen
Sprache für derartige Musikgruppen üblich, die
negative Stigmatisierung sollte man sich nicht zur Richtschnur
machen.
5 BELTINŠKA BANDA,
Ljudska glasba iz Prekmurja.
DRUGA GODBA, Konzert vom 10.3.1987
6 Jablovec liegt in der Landschaft
Podlehnik bei Ptuj.
7 Mira Omerzel-Terlep, Der bleiche Mond
8 Pišcaci, Starinski Ples. Radio
Koper-Copodistrie 8t. 415-245/91MB
9 Ebd.
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