Werner Hinze, Schalmeienklänge im
Fackelschein. Ein Beitrag zur Kriegskultur der Zwischenkriegszeit. 507
S., 148,- Euro; Hamburg 2002
Best.Nr. WR 001-H-1; ISBN 3-936743-00-2
Werner Hinze bringt einen gewichtigen Beitrag zum
politischen Kampf der Weimarer Republik. Ihm gebührt das
Verdienst, die Existenz einer Frontkämpferkultur (mit über
fünf Millionen ehemaligen Soldaten) als Gemeinsamkeit aller
politischer Richtungen zu benennen.
Die Arbeit stellt erstmalig chronologisch den
Aufbau der Agitationskultur, insbesondere der Aufführungs- und
Musikkultur des Roten Frontkämpferbundes (RFB) mit einer
beispiellosen Fülle an Material dar. Dabei werden den zentralen
Vorgaben die Praxis des Gaus Wasserkante und der Gauvorort Bremen aus
dem Binnenleben des Bundes entgegengestellt. Das Ergebnis der zutage
geförderten „pikanten und brisanten Details” zur
Politik des linken Kampfverbandes wurde dem Autor als
„härteste Kritik am Selbstverstandnis und an der Politik der
linken Partei-Militanten der Weimarer Republik” attestiert, das
erheblich zur „Entmythologisierung” linker Mythen
beiträgt.
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> Auszug: Kap. 4.2.2.1 (S. 312-322)
Die Kommentare
Diese Arbeit darf man wohl ohne Übertreibung
als nicht nur das umfangreichste, sondern auch als mit das bedeutendste
Forschungsergebnis zur Geschichte der Musik innerhalb der deutschen
Arbeiterbewegung bezeichnen. Zahl und Bearbeitung der erschlossenen und
benutzten Quellen sind nicht nur eindrucksvoll, sondern beispiellos im
Rahmen dieses Forschungszweiges, der nach dem Ende der auch
forschungs-„politischen“ Bewegung der BRD und nach dem Ende
der DDR – mit wenigen Ausnahmen wie der Beschäftigung etwa
mit Eisler oder Weill – praktisch zum Erliegen gekommen ist. Umso
erfreulicher ist es, dass in diese Lücke eine so wichtige,
schwergewichtige Arbeit tritt, die sozusagen unzeitig in
äußerst akribischer und geschickter Weise eine Verbindung
herzustellen vermag zwischen organologischen, politik- und
organisationsgeschichtlichen und - was einen besonderen Wert der Arbeit
darstellt – neben den ausführlichen Darstellungen zur
Aufführungs- und Musikkultur des RFB vor allem auch
symbolgeschichtlichen Aspekten, ohne die ein Verständnis für
politische Organisationen und auch ihrer Musikkultur kaum möglich
ist, da sie sich über diese definieren: Die Farbe
„Rot“, Uniform, Abzeichen, Gruß, geballte Faust,
Fahnen usw.
Höchst überzeugend und innerhalb der
o.g. BRD- und DDR-Forschungen undenkbar ist die informative
Nüchternheit, mit der aus der Fülle der Quellen ein
deutliches, fast stets völlig unparteiisches Bild jener fernen
Kampfphase der Weimarer Republik gezeichnet wird, selbst in einem
Abschnitt, dessen Titel eine zugespitzte Interpretation erwarten lassen
könnte: „Von der Siegesstimmung zum Führerprinzip
– der Herbst 1926.“ Die Archivrecherche hat allerdings auch
eine solche Flut von Material erbracht, dass ein parteiischer Forscher
um der Raffung willen leicht der Versuchung hätte nachgeben
können – oder müssen? -, ein Gutteil zu
unterdrücken, der im Widerspruch zum jeweiligen Forschungstrend
bzw. –ziel steht, wie etwa das deprimierende - dem
“bürgerlichen Kastengeist“ entlehnte -
„Kommando-Reglement”, das zum Bedauern der Leitungen von
den Mitgliedern teilweise nicht diszipliniert befolgt wurde, was den
Leser befriedigt. Der Autor lässt sich auch hier wiederum nichts
anmerken, was noch mehr befriedigt, da die Interpretation dem Leser
überlassen wird.
Prof. Dr. Peter Schleuning
Interessenten für das Buch
„Schalmeienklänge im Fackelschein" senden ihre Anfrage
bitte an kontakttonsplitter.de
Die Tatsache, daß ich mit dieser Arbeit das
dickste Dissertations-Manuskripts meiner Hochschullehrer-Laufbahn
zwischen den Händen halte (4 Bände, insgesamt 813 Seiten)
spricht für sich allein natürlich noch nicht für die
Qualität des Opus. Sie spricht allerdings sehr für die
Arbeitsweise und das wissenschaftliche Profil des Verfassers. Herr
Hinze aus Hamburg hatte vor vielen Jahren begonnen, sich für die
Schalmei zu interessieren - nicht das sanfte klarinettenähnliche
Instrument unserer Weihnachtslieder, sondern die quäkende
„Martinstrompete“, wie sie in ähnlicher Form als
„Martinshorn“ der Polizei bis heute bekannte ist. (Warum
diese derbe Tröte, die in den von Herrn Hinze dokumentierten
Verkaufprospekten der Herstellerfirma immer als „Hupe“ oder
„Horn“ firmiert, sich sprachlich zur lieblichen
„Schalmei“ gewandelt hat, habe ich nicht gefunden - handelt
es sich vielleicht um einen Spott-Euphemismus?). Das Bemühen,
alles über dieses Instrument in Erfahrung zu bringen, seine
Technik, seine Herstellung und vor allem seinen Gebrauch: dies ist das
eine Erkenntnisinteresse, von dem Herrn Hinzes Arbeit lebt - und schon
daraus hätte der Verfasser ein solides Buch erarbeiten
können. Es wäre eine musikgeschichtliche Arbeit zu einem
ziemlich ausgefallenen Instrument geworden.
Nun kommt etwas Anderes hinzu. Die Schalmei (das
macht diese Arbeit deutlich) war so etwas wie das Leibinstrument der
militärischen Formationen der Arbeiterbewegung, also vor allem des
„Rotfrontkämpferbundes“. Und dies ist das andere
Erkenntnisinteresse des Verfassers: Er wollte, vermittelt über die
Schalmei und die „Arbeiterkampfmusik“, das Funktionieren
der linken Kampfverbände herausarbeiten, und zwar im wesentlichen
nicht aus der historischen Vogelperspektive der Programmatiken, sondern
aus dem Binnenleben der (Musik-) Verbände selber.
Aus der Verschränkung dieser beiden
„Stränge“ des Forschens ist die vorliegende Arbeit
entstanden und nach einem fast zehnjährigen Suchen, Sammeln,
Recherchieren, Analysieren und Dokumentieren nun an ein Ende gelangt,
das große Bewunderung verdient. Auch wenn ich als Leser den
Eindruck habe, daß vor allem der „2. Strang“, also
die Darstellung der Arbeiterbewegung und ihrer Kampfverbände sich
oft verselbständigt hat, daß Daten und Fakten dazu
mitgeteilt werden, die zwar historisch äußerst
aufschlußreich, mit dem musikalischen Thema der Arbeit aber nicht
mehr „vermittelt“ sind. Ist das eine Kritik? - Nein und Ja.
Der Verfasser ist bei seinen peniblen Recherchen auf unglaublich
interessante und brisante Details zur Politik der linken
Kampfverbände gestoßen, die, wenn er die Arbeit vor 30
Jahren herausgebracht hätte, ihr höchste politische
Aufmerksamkeit hätte zuteil werden lassen und zu einer heftigen
Polarisierung der Meinungen geführt hätte. Denn was Herr
Hinze zu diesem Punkt herausarbeitet, ist die härteste Kritik am
Selbstverständnis und an der Politik der linken Partei-Militanten
der Weimarer Republik. Herr Hinze stellt dar, wie die Organisationen in
ihrer Struktur schon in den Zwanziger Jahren das (nazistische)
„Führer“-Prinzip übernahmen und linke gegen
rechte Disziplin beschworen, wie sie in ihrem musikalischen Repertoire
die Tradition des wilhelminischen Militarismus fortsetzten und im
Grunde, um es zugespritzt zu sagen, sich gegenüber ihrem
nationalsozialistischen Gegner gleichsam nur spiegelverkehrt
verhielten. Herr Hinze belegt das sehr genau aus der sorgfältigen
kritischen Lektüre auch abgelegener Schriften und Schriftchen,
detailversessen und einer Wahrheit auf der Spur, die wir dem Verfasser
abnehmen ohne daß wir uns dadurch politisch desillusioniert
fühlten. (Wie anders war die politische Situation, als in den 70er
Jahren Autoren wie Erhard Lucas, Klaus Theweleit, Peter Brückner
oder Heinz Brüggemann den Autoritären Charakter der
Arbeiterbewegung der Weimarer Republik darstellten, die Nähe
linker zu rechter Gewalt analysierten). Die Lust an der offensiven
„Entmythologisierung“ linker Mythen tritt dabei als Haltung
des Autors deutlich hervor (die Arbeit setzt schon recht unvermittelt
mit der Formulierung „falscher“ Auffassungen als
„Ausgangsthesen“ ein). Unter diesem Gesichtspunkt ist die
Arbeit von Herrn Hinze in ihrem „historischen“ Strang ein
wichtiger Beitrag zur (Kultur-) Geschichte der Arbeiterbewegung. Was em
Leser allerdings das Lektürevergnügen ein wenig tzrübt,
ist die - wie oben angedeutet - nicht immer gelungene
Verschränkung mit dem musikhistorischen Ansatz, ist die
voluminöse, sperrige Anlage eines Riesen-Opus, dessen Gliederung
(„5.4.1.1.1...“) bereits wenig leserfreundliche ist.
Doch weiter mit der Laudatio... Ich habe bereits
auf den Spürsinn und die Recherchelust des Verfassers hingewiesen.
Die Arbeit an Primärquellen in den Archiven wurde flankiert durch
die Analyse zeitgenössischen publizierten Materials (Zeitungen,
Vereinszeitschriften etc.) und durch das Gespräch mit Zeitzeugen.
Großen Wert hat der Autor darauf gelegt, die falschen Legenden im
Hinblick auf die Schalmei und die Bedeutung der Arbeitermusik zu
konfrontieren mit den Ereignissen „vor Ort“ (also bei den
einzelnen Kapellen und Ortsverbänden). Auf diese Weise entsteht
ein sehr lebendiges und anschauliches Bild auch von
Alltäglichkeiten (den Auftritten der Kapellen auf lokaler Ebene
zum Beispiel).
Sehr große Anerkennung verdient Herrn Hinzes
Kapitel über das Liedgut der Arbeiterbewegung im allgemeinen und
der RFB-Kapellen im besonderen (S. 600ff.) - und im Grunde ist das noch
einmal ein ganz eigenes „Buch“ innerhalb dieses Buches. Der
Verfasser untersucht dort nicht nur das Lied- Repertoire und seine
Entwicklung auf der Basis der Liederbücher, der Programmzettel,
der Berichte etc., sondern legt auch eigene historisch-philologische
Analysen zur Entstehung Geschichte einzelner Liedtexte vor, die z.T.
den Charakter einzelner ausführlicher Essays annehmen. Einhundert
Seiten starker Registerteil beschließt die ungewöhnliche
Arbeit.
Herrn Hinzes Arbeit stellt ein überaus
sorgfältig aus Primärquellen recherchiertes Werk dar, mit dem
der Verfasser wissenschaftliches Neuland im Bereich der Musik-, der
Kultur- und der proletarischen Geschichte betritt.
Prof. Dr. Dieter Richter
Insitut für Popularkultur und Kinderkultur
Universität Bremen