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Mit Lenin, Verlag Junge Garde, o.J. (21.-40. Tsd.)
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Hans Buchner, Mit Hitler, München 1931
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Ernst Thälmann vor der Roten Faust
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Rote Frontkämpfer zum 1. „Roten Tag“ 1925
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Arbeiter-Kampfliederbuch
der KPD
 
Schalmeienklänge im Fackelschein      - 4 -
Auszug: Kap. 4.2.2.1 (S. 312-322)      


In den folgenden Monaten spielte die „Anti-Faschismus“-Kampagne innerhalb der Agitation nur eine geringe Rolle. Lediglich bei einer Kundgebung am 24. Mai im Kaffee Funke wegen der Durchsuchung der Arcos in London(97) oder in der Auseinandersetzung mit dem Stahlhelm tauchte der Begriff Faschismus in der Propaganda auf (hier z.B. am 10. September in Bremen anläßlich des 13. Jugendtages(98). Beim Gautreffen des RFB Nordwest in Bremen am 28. August sah Oskar Beanae in seinen Ausführungen über die Entwicklung der 2. Bremer Abteilung einen Zusammenhang zwischen dem Kampf „gegen imperialistischen Krieg und Faschistengefahr“.(99) Bei der Veranstaltung zum Bremer Treffen mußte ein Plakat in der Wartburgstraße, das den Faschisten den Tod wünschte, auf Veranlassung der Polizei „wegen seines aufreizenden Inhalts entfernt werden“:

„Dem Arbeiter die Straße, den Faschisten der Tod“(100) 

Zeigte sich in dieser drastischen Formulierung analog zur Theorie der Einheitsfront von unten ein deutlicher Rückgriff auf das Jahr 1923 und die Formulierung der Roten Fahne - „Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft“ (die später ebenfalls wieder übernommen wurde, s. Dok. 1) -, so kam auch die Verwendung des Begriffs Faschismus als Anhängsel an jedes x-beliebiges Wort wieder in Mode.(101) Der Begriff Faschismus, bis dato bereits zum Synonym für die meisten gegnerischen politischen Richtungen oder Ausdrucksformen geworden, begann mit einer Äußerung Willy Leows in seiner Darstellung über die Geschichte des RFB eine solche Erweiterung zu erfahren, daß er in eine neue Begriffswelt überzugehen schien. Um dem programmatischen Ziel - der Organisierung von Betriebsgruppen - näher zu kommen, betonte er, daß sich „mit der wachsenden Gefahr des Faschismus“ die Organisation „in wachsendem Maße“ auf dessen Bekämpfung konzentrieren müsse, und gab bekannt, daß die 4. Reichskonferenz „die Bildung von Betriebsgruppen des RFB zur Bekämpfung des Betriebsfaschismus“(102) beschlossen habe.

Leows Wortwahl wurde im Januar 1928 nicht nur übernommen, sondern mit einer weiteren Neuschöpfung ergänzt. In ihrem Bericht zur „Arbeit in Betrieb und Gewerkschaften“ betonte die Gauführung Nordwest, daß ein „Kampf gegen den Werkfaschismus“ nur geführt werden könne, „wenn alle RFB Kameraden, die im Betrieb beschäftigt, sind zu einer Betriebsgruppe zusammen geschlossen werden“.(104)

Die Entwicklung verdeutlicht, daß die Ausweitung auf den Begriff „Sozialfaschismus“, der seit März 1928 zu verzeichnen ist,(105) keineswegs ein „Betriebsunfall“ war, sondern lediglich die konsequente Fortführung der begonnen Praxis. Aufgrund des allumfassenden Verständnisses, daß Faschismus das Lager des politischen Gegners in seiner Gesamtheit war, mußte mit der Rückbesinnung auf die Theorie der Einheitsfront von unten ein derartiger Schritt folgen - außerdem handelt es sich um eine Fortführung des Begriffs der „schwarzrotgelben Front der Sozialverräter“ vom Juni 1925 (s. Kap. 4.2.1). Es kann deshalb auch kaum verwundern, daß den genannten Begriffen später (ab 1928) noch eine Vielzahl anderer folgte (s. Liste 1). Der Kampf galt z.B. den „faschistischen Organisationen und Werkvereinen“,(107) den „faschistischen Sport- und Wehrorganisationen“(108) oder war „gegen die Faschisierung der Seefahrt“(109) gerichtet - letzterer folgte beispielsweise der Begriff „Schiffahrtsfaschismus“. Der 1. Juli 1928 wurde in Vegesack als „Antifaschistentag“ begangen.

Zum 2. Gautreffen der RJ in Kiel wurde am 20. Oktober 1928 in der HVZ vorbereitend die Frage „Rote Jungfront und Faschismus“ beantwortet. Nachdem die „faschistischen Verbände“ als „ein Kampfinstrument der Großbourgeoisie gegen das Proletariat“ bezeichnet worden waren, „zu dessen Niederwerfung die legalen staatlichen Machtmittel nicht mehr“ ausreichten, wurde auf die soziale Grundlage des Faschismus hingewiesen:

„Der Faschismus hat seine soziale Grundlage in den stellungslosen Offizieren und Landsknechten, die nach Kriegsende sich in keinen Beruf einleben konnten und in dem durch Inflation, Rationalisierung und Konzentration des Kapitals immer schneller niedergehenden Kleinbürgertum.“110 

Bei dieser Definition waren im Gegensatz zu jener vom ZK der KPD vom Mai 1927 die „Elemente des Elends“ am unteren Pol der bürgerlichen Gesellschaft ausgenommen, da sie sich offensichtlich kaum noch mit der sozialen Situation der eigenen Klientel in Einklang bringen ließen. Insbesondere aber galt der Kampf wieder der Sozialdemokratie, „die einen großen Teil der Bekämpfer und Verleumder des heutigen Rußlands“ darstelle.(111) Ihnen sei ein Teil einer „Resolution des fünften Weltkongresses der KJ“ gewidmet, in der es u.a. hieß:

„Bei fortschreitendem Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft nehmen alle bürgerlichen Parteien, insbesondere die Sozialdemokratie, einen mehr oder weniger faschistischen Charakter an, bedienen sich seiner Kampfesweise gegen das Proletariat und lösen so selbst die Gesellschaftsordnung auf, zu deren Erhaltung sie sich gebildet hatten. Der Faschismus und die Sozialdemokratie sind die beiden Seiten ein und desselben Werkzeuges der großkapitalistischen Diktatur.“(112) 

Der Antikriegstag, der 1927 in Hamburg am 24. Juli - verbunden mit dem Norddeutschen Treffen - begangen wurde und zu dem auch eine ca. 300 Personen starke Delegation aus Bremen angereist war,(113) stand unter dem Motto „Krieg dem imperialistischen Krieg“(114) sowie „Rote Bataillone gegen Krieg und Kapital“(115). Ein Jahr später galt es nicht nur die „Arbeiterfront gegen imperialistischen Krieg“(116) zu stellen, sondern auch „gegen Faschismus und Kriegsgefahr“(117) zu demonstrieren.

In der Phase, die neben der Einordnung als Rückbesinnung auf die Theorie der Einheitsfront von unten oder „ultralinke“ Wendung auch als Beginn der Gesellschaft in der Gesellschaft bzw. - nach Kluge/Negt - der Ideologie des Lagers bezeichnet wird,(118) tauchte verstärkt auch der Begriff Vaterland in der Propaganda auf (s. Kap. 4.2.2.2). Die seit jener Phase ebenfalls feststellbare inflationäre Nutzung des Begriffs Faschismus, die in fast jeder Auseinandersetzung mit einem der Gegner präsent gewesen war, führte auch zur Häufung der Selbstbestimmung in der Negation des „Bösen“ als „Antifaschist“. Mit gleicher Intention wurden auch die neuen kommunistischen Organe mit diesbezüglichen Namen versehen. Am 9. März 1929 tagte im Berliner Gewerkschaftshaus ein Erster Internationaler Antifaschisten-Kongreß.(119) 

Auffällig ist der konzeptionslos erscheinende Gebrauch des Begriffs Faschismus. Während Schneller in seinem Eingangsreferat zum 12. Parteitag der KPD unter dem Begriff „die faschistischen Banden“ die Nationalsozialisten, den Stahlhelm und das Jungdo subsumierte, die er um die „sozialfaschistischen Rollkommandos des Reichsbanners“ ergänzte,(120) wurde eine Woche zuvor anläßlich des Stahlhelmaufmarsches eine andere Aufzählung präsentiert. Als die „Hamburger faschistischen Verbände“ wurden neben sechs Trommler- und Pfeiferkorps und zwei Blasorchestern nur fünf Personengruppen aufgeführt, die sich insgesamt zu „wenig über 3000 Faschisten“ subsumiert hätten (s. Dok. 2). Außerdem wurde behauptet: „die Faschisten werden weniger. Gestern waren es nur noch 746 Viererreihen, gleich 2.984“.(121) 

Ab August 1929 laufen auch die Veranstaltungen der KPD und ihres Umfeldes immer häufiger unter der Überschrift „... gegen Faschismus“. Nachdem der Norddeutsche Arbeiterschutzbund in der kurzen Zeit seines öffentlichen Bestehens (Ende 1929) in der Versenkung verschwunden war und die Neugründung eines anderen Bundes in Angriff genommen wurde, begannen im Juni 1930 Veranstaltungen mit der alternativ gestellten Frage „Bolschewismus oder Faschismus“.(122) Begleitend zur Kampagne wurde in der HVZ eine Stellungnahme von Ernst Thälmann veröffentlicht.(123) Die direkten Gründungsveranstaltungen des Kampfbundes gegen den Faschismus zu Beginn des Oktobers wurden zusätzlich mit Veranstaltungen unter dem Titel „Faschistische Knute oder Freiheitskampf um Brot und Macht“ propagandistisch vorbereitet.(124) 

Seit 1932 ging der Gebrauch des Begriffs Faschismus leicht zurück und wurde zunehmend durch Ausdrücke aus der nationalsozialistischen Szene ersetzt - erstaunlich häufig jedoch, ohne damit gleichgesetzt zu werden.
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Z e i t s c h r i f t   f ü r   M u s i k -   u n d   S o z i a l g e s c h i c h t e  (ZMUSO)
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>„Faschismus“-Vorstellung der KPD S. >1 >2 >3 >4 >5 (Anm.)  >Als PDF  > ZMUSO   > Die Schalmei