Schalmeienklänge
im Fackelschein - 2 -
Auszug: Kap. 4.2.2.1
(S. 312-322)
Nachdem der
Reichsinnenminister Külz sich in einem
Rundschreiben an die Landesregierungen
gegen die militärische Betätigung
von Verbänden ausgesprochen hatte,
dabei aber „Geländespiele,
Ausflüge, Schießen mit
nichtmilitärischen Waffen“
ausdrücklich als „nicht ohne
weiteres Übungen militärischer
Art“ ausnahm, sah die HVZ darin
lediglich eine „bessere
,Tarnung’, Verhüllung der
reaktionären Rüstungen gegen die
Arbeiterschaft“.(78)
Die zunehmende
Gewaltbereitschaft, die mit dem Beginn des
Jahres 1927 zu verzeichnen ist, und die
daraus resultierenden Auseinandersetzungen
mit den politischen Gegnern machte die
Benennung eines Feindes notwendig. Mit
Blick auf die Einheitsfronttheorie bot sich
offensichtlich der Begriff Faschismus wie kein anderer an, wenn
auch die inhaltliche Substanz der
Feindbestimmung noch äußerst
dürftig war. Als die Bremer KPD das
angekündigte Schalmeien-Konzert am 23.
März in eine Protestkundgebung
umänderte, galt die Zielrichtung
„der Konterrevolution und ihren
Trägern“, als die sie die
„faschistischen
Organisationen“, die Polizei und den
Senat, ausmachte.(79) Eine zusätzliche
verbale Gleichsetzung fand mit der
Übernahme eines Wortes aus der
politischen Begriffswelt Rußlands
statt, das später ebenfalls
stärker zur Entfaltung gelangen sollte
und wiederholt synonym gebraucht wurde:
„weiße Banditen“ (s. auch
Liste 2). In Anlehnung an die - zumindest
propagandistische - politische und
militärische Zweiteilung russischer
Verhältnisse in Rot- und
Weißgardisten wurde - bewußt
oder unbewußt - versucht, dieselbe
nach Deutschland zu übertragen.
Daß die ausschließlich
zweiteilige Nutzung auch mit der Marxschen
Zweiklassen-Theorie zusammenhängt,
machte die Bremer AZ deutlich, als sie den
Vertreter des KPD Bezirks Nordwest, Taube,
anläßlich des Untergautreffens
in Wilhelmshaven-Rüstringen mit der
Schlußfolgerung zitierte:
„es gibt nur
zwei Klassen, Ausbeuter und Ausgebeutete.
Ihr müßt euch in der Front der
Ausgebeuteten
zusammenschließen.“(80)
Auf der Bremer
Demonstration vom 23. März, die
innerhalb der Märzagitation stattfand, wurde somit
nicht nur die Aufforderung „Hinein in
die Rote Jungfront“ skandiert,
sondern auch ein Plakat folgenden Inhalts
getragen:
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„Nieder mit dem
Faschismus, bildet Selbstschutz!
Arbeiterblut ist
geflossen, schafft Selbstschutz!“(81)
Gleichzeitig wurde
gegen den „faschistischen
Rummel“ am 3. April mobilgemacht,
deren Ausrichter der Stahlhelm war.(82)
Am 2. April 1927
fragte die HVZ erstmals „Was ist
Faschismus?“, um als Antwort den
Artikel mit den Worten einzuleiten:
„Der Name stammt aus
Mussolinien“.(83) Erstmals wurde eine
Definition angewandt, die später vom
Bulgaren Dimitroff übernommen
wurde(84):
„Er ist die
offene brutale Offensive der Besitzenden
gegen die Ausgebeuteten.“(85)
Während den
Arbeitern außerdem vorgeworfen wurde,
daß sie zu wenig über den
Begriff nachdenken würden, den
Besitzenden daran allerdings die Schuld
zugeschrieben wurde, traf ein weiterer
Vorwurf „die Sozialdemokratischen
Parteien aller Länder“, die es
„noch nicht verstanden“
hätten, „sich an die Spitze des
Kampfes gegen den Faschismus zu
stellen“.
Eine intensivere
propagandistische Nutzung des Begriffs Faschismus begann mit den
Gegenveranstaltungen zum 8. Reichsfrontsoldatentag des Stahlhelm am 8. Mai 1927 in Berlin. Seit
dem 5. des Monats wurden bis zum
Veranstaltungstag im ganzen Reich Antifaschistische
Kundgebungen veranstaltet.
Die Bemerkung des Stahlhelmgründers
Seldte „Wir nehmen Berlin im
Sturm“ war nicht nur motivierendes
Schlagwort für den „Maiaufmarsch
mit der KPD“,(86) sondern verbaler
Ausgangspunkt zur späteren
Gleichsetzung mit Hitlers Propagierung
eines „Marsches nach
Berlin“(87) - der Stadt, die nicht
nur Hauptstadt der Republik war, sondern
auch als stärkste Bastion von KPD und
RFB galt. Am Tag vor der Berliner
Kundgebung sah die HVZ eine
„Mordhetze und Überfälle
der Faschisten“ und brachte eine
erste „Analyse“ unter dem Titel:
„Faschismus, der
Todfeind der Arbeiterklasse
Der Mussolinismus in
Deutschland“(88)
Die
Auseinandersetzung, die vom ZK der KPD
stammen dürfte, bewegte sich auf einem
äußerst dürftigen
theoretischen Niveau.(89) Als
„historische Wurzel“ des
internationalen Faschismus wurde „die
Epoche des Imperialismus und der
proletarischen Revolution“
bezeichnet.(90) Prägend dafür sei
die „Herrschaft des
Finanzkapitals“, die zu einer
tiefgehenden Veränderung der sozialen
Struktur in den großen
Industrieländern führe. Diese
zeige sich einerseits durch die
Herausbildung einer
„Arbeiteraristokratie“, der
„es auf Kosten der ausgebeuteten
kolonialen und halbkolonialen
Völker“ möglich würde,
sich „eine privilegierte
Lebensstellung“ zu sichern,
während es andererseits „breite
Schichten des Kleinbürgertums zum
Ruin“ verdammen würde. Das
wiederum steigere „die Ausbeutung der
Arbeiterklasse und läßt eine
permanente Riesenarmee von Erwerbslosen aus
dem Produktionsprozeß“, was zum
„sozialen Zerfall der
bürgerlichen Gesellschaft“
führe. Dieser äußere sich
„in der Häufung aller
parasitären Elemente an ihrem oberen,
aller Elemente des Elends an ihrem untern
Pol“. Beide seien die „doppelte
soziale Wurzel des internationalen
Faschismus“.
Da die
imperialistische Epoche auch die
„Epoche der proletarischen
Revolution“ und somit „das
Zeitalter der gewaltigsten
Klassenkämpfe, des verschärften
Bürgerkrieges, des bewaffneten
Aufstandes“ sei, „entstand die
besondere Kampfmethode des Faschismus, der
Terror gegen die Arbeiterbewegung“.
Im „Moment einer revolutionären
Situation“ würde „nicht
nur die bürgerliche Demokratie
jämmerlich“ zusammenbrechen,
„sondern auch die
Unterdrückungskräfte der legalen
kapitalistischen Staatsmaschine drohen vor
dem Ansturm des kämpfenden
Proletariats zu versagen“. Die
Bourgeoisie benötige somit „neue
Methoden zur Niederhaltung der
Arbeiterklasse“. Die wichtigste davon
sei der - nun zur Methode gewordene -
Faschismus. Dessen Eigenart sei „die
Verbindung der direkten Gewaltanwendung
gegen die Arbeiterklasse mit der
politischen Gesinnung Tausender von
Werktätigen und sogar gewisser
proletarischer Elemente für die Ziele
der Bourgeoisie unter dem Deckmantel der
nationalistischen und faschistischen
Demagogie.“ Schlagwortartiger
Schluß dieses „Gedankens“
war die Verbindung zum russischen
Vokabular, indem der Faschismus als „weiße
Bajonette mit der gelben Ideologie“
bezeichnet wurde.
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