Notensalat mit Geilwurz
Lieder der Küche und Küchenlieder


Lobeshymnen Teil 2:

Ein großes Lob kam aus dem Freiburger Volksliedarchiv von Johanna Ziemann im Jahrbuch des DVA, „Lied und populäre Kultur“ Band 50/51 - 2005/2006:

Bereits zwei Ausgaben waren in der Liederbuchreihe von Tonsplitter, dem Hamburger Archiv für Musik und Sozialgeschichte, erschienen: Lieder der Straße (2002) und Seemanns Braut is’ die See (2004). Jetzt hat Werner Hinze, der engagierte Leider des Archivs, einen dritten Band vorgelegt, in dem er sich gemeinsam mit der Botanikerin Dagmar Wienrich dem eigentlichen Mittelpunkt des häuslichen Wohnens, der Küche, widmet. Ursprünglich war dieser Ort der zentrale Platz im Haus, an dem weit über die Zubereitung der Nahrung hinaus menschliche Begegnung stattfand. Die Küche war lange Jahrhunderte der einzig dauerhaft beheizte Raum, man verrichtete hier verschiedene Arbeiten und traf einander auch, um Neuigkeiten auszutauschen. So verwundert es nicht, dass sich für Lieder mit sentimentalen und gruseligen Inhalten - Bänkellieder, Moritaten - der Begriff „Küchenlied“ eingebürgert hat. Nachdem nun die Küche  von den deutschen Architekten seit den 1950er-Jahren zugunsten moderner Einbaumküchen und schnell zubereiteter Tiefkühl- und Konservenkost radikal verkleinert worden ist, macht sich gegenwärtig wieder ein gegenläufiger Trend zur Wohnküche bemerkbar. Diesen Trend möchte die vorliegende Sammlung von insgesamt 101 Liedern unterstürzen und dem Gesang - so die Herausgeber in ihrem Vorwort - an diesem zentralen Ort menschlichen Miteinanders wieder zu neuem Raum verhelfen.

Es ist auch hier wieder die bewährte Praxis der Tonsplitter-Liederbuch-Reihe, im hinteren Teil ein Lexikon anzubieten, das viel Wissenswertes und Interessantes zu den einzelnen Liedern, zu deren Entstehung und kulturgeschichtlicher Bedeutung, ihrem „Sitz im Leben“, zusammenträgt. Eine originelle Idee dabei ist: Die Informationen zu den Liedern wurden von Dagmar Wienrich gespickt mit durchaus nützlichen Tipps den verschiedensten besungenen Nahrungs- und Genussmitteln, Kräutern und Gewürzen, die auch gesundheitliche Fragen und zeitlose Haushaltsprobleme betreffen. Wussten Sie etwa, dass Bohnenwasser zur Entfernung von „alten, hartnäckigen Flecken aus Seide und Wolle“ dienen kann? Oder dass der Genuss von Bohnenspeisen weniger Verdauungsschwierigkeiten nach sich zieht, wenn Sie bei der Zubereitung einen Salbeizweig mitkochen (beide Tipps auf S. 113)?. Ganz besondere Würze erhält das Büchlein durch kleinere Back- und Kochrezepte - darunter etwa neben den einfachen „Salzstangen“ (S. 66) so exotisch Anmutendes wie „Panierte Wiesen-Bärenklau-Stiele mit Knoblauch“, wobei die Warnung vor dem fototoxischen Gift der Pflanze selbstverständlich nicht fehlt (S. 163).

Doch zurück zu den Liedern. Hinze hat aus verschiedenen Quellen geschöpft, darunter wiederholt aus dem reichen Material des Deutschen Volksliedarchivs. Er stellt Lieder vor, die sich mit verschiedenen Gaumenfreuden beschäftigen - Obst, Gemüse, Fleisch, Fisch, Salz und andere Würzmittel - und solche, die verschiedene Berufsgruppen rund ums Essen betreffen. Dies sind natürlich zunächst die Köche, vertreten etwa durch das Lied vom Lustigen Küchenchef (Wenn ich in meiner Küche steh, S. 14). Es ist eine Umdichtung des Kreuzfidelen Kupferschmieds von C. Peter, eines damals sehr populären Liedes, das auch als Militärmarsch Karriere machte und vielfach zu Neudichtungen angeregt hat. Der Lustige Küchenchef war ein Beitrag zum Preisausschreiben des Berliner Zweigvereins des Internationalen Verbandes der Köche, aus dem das 1908 erschienene Liederbuch mit dem Titel Des Koches Liederschatz hervorging (S. 117 und 167). Dann gibt es Lieder über bzw. von Gastwirten, etwa Ich hab den ganzen Vormittag in Rheinwein ’rum gemanscht (S. 88), eine Dichtung des Chemikers und Gründers des Allgemeinen Deutschen Reimvereins Emil Jacobsen (S. 132 und 134f.). Auch dei Metzger kommen zu Wort: Wenn ich des Morgens früh aufsteh (S. 43) ist ein wenig dokumentiertes Lied der Metzgergesellen, das sich auch im Deutschen Fleischer-Liederbuch von Heinrich Hohlmann jr. aus der Zeit um 1900 findet (S. 117f. und 167). Aber auch dei Haller Salzsieder sind mit ihrem Reihentanz vertreten: Mei Mutter koch mer Zwiebel und Fisch (S. 65) ist nach F. M. Böhme ein Reihentanz und Marsch, der noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts von den Salzsiedern zu Schwäbisch Hall getanzt wurde (S. 151).

In seiner Liedauswahl verbindet Hinze verschiedene Jahrhunderte und Liedgattungen miteinander, ausgemachte Kunstlieder mit traditionellen, in Mundart überlieferten Liedern. So finden sich Liebeslieder aus dem 16. Jahrhundert, die wegen ihrer Pflanzen- und Gartenmetaphorik (>hortus conclusus<) Aufnahme gefunden haben, z. B. In meines Buhlen Garten (S. 22) und Ich zeunt mir nächten einen Zaun (S. 23) beide von Hinze nach Forster 1556 bearbeitet, dazu Lieder zeitgenössischer Liedermacher, etwa Viele sehen nur das Grün mit dem Titel Kleingärtners Traum von dem 2003 verstorbenen Anselm Noffke (S. 24), eine politische Parabel auf kleinbürgerliche Ordnungs- und Gleichmachungsliebe. Neben Operettenliedern, wie Das Schönste wohl auf Erden / gut Essen jederzeit aus der Operette Mamsell Angot von Charles Alexandre Lecocq (S. 13), gibt es einfache Kinderlieder und verschiedene Heischelieder, mit denen Kinder zu verschiedenen Anlässen im Jahr um Nahrungsmittel bettelnd durch die Häuser zogen, z. B. Rau, rau Rommelsdöppen (S. 21).

Geordnet sind die Lieder unter zwölf Rubriken, beginnend mit „Die Küche und seine [sic!] Besucher“ und endend mit den „Küchenliedern“, unter denen Sabinchen war ein Frauenzimmer (S. 93) und Mariechen saß weinen im Garten (S. 98) natürlich nicht fehlen dürfen. Über die „Besucher der Küche“ wundert man sich allerdings gelegentlich, etwa wenn nach dem textlosen Küchentanz (S. 7) bereits als erstes Lied die Abendlust (Was wolln wir auf den Abend tun, S. 8) mit einer durchaus humorvollerotisch gemeinten zweiten Strophe zu Bette ruft. Wir sind ja gerade erst am Anfang des Küchenerlebens und mögen noch nicht ans Ende denken, aber das Lexikon im Anhang verdeutlicht uns, dass sich mit der dritten Strophe Verbindungen zum Muskateller-Lied ergeben, einem bekannten Zechlied des 15. und 16. Jahrhunderts: Hier wird der Wein als „liebster Buhle“ besungen, und der gehört als gern gesehener Besucher auch heute noch in jede anständige Küche. Und natürlich ist die Küche der ursprünglich Platz der „schwarzen Köchin“, Ist die schwarze Köchin da (S. 10), das bekannte Kinderspiel, findet im Lexikon eine ausführliche Kommentierung, in der unterschiedliche Erklärungsversuche angeboten werden, darunter die „rußverschmierte Köchin aus den großbürgerlichen Haushalten“ des 19. Jahrhunderts mit interessanten zeitgenössischen Beschreibungen eines typischen Berliner Hängebodenkücheninterieurs (aus Fontanes Stechlin).


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