Schalmeienklänge im Fackelschein


Die Kommentare

Kommentar 1

Diese Arbeit darf man wohl ohne Übertreibung als nicht nur das umfangreichste, sondern auch als mit das bedeutendste Forschungsergebnis zur Geschichte der Musik innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung bezeichnen. Zahl und Bearbeitung der erschlossenen und benutzten Quellen sind nicht nur eindrucksvoll, sondern beispiellos im Rahmen dieses Forschungszweiges, der nach dem Ende der auch forschungs-„politischen“ Bewegung der BRD und nach dem Ende der DDR – mit wenigen Ausnahmen wie der Beschäftigung etwa mit Eisler oder Weill – praktisch zum Erliegen gekommen ist. Umso erfreulicher ist es, dass in diese Lücke eine so wichtige, schwergewichtige Arbeit tritt, die sozusagen unzeitig in äußerst akribischer und geschickter Weise eine Verbindung herzustellen vermag zwischen organologischen, politik- und organisationsgeschichtlichen und - was einen besonderen Wert der Arbeit darstellt – neben den ausführlichen Darstellungen zur Aufführungs- und Musikkultur des RFB vor allem auch symbolgeschichtlichen Aspekten, ohne die ein Verständnis für politische Organisationen und auch ihrer Musikkultur kaum möglich ist, da sie sich über diese definieren: Die Farbe „Rot“, Uniform, Abzeichen, Gruß, geballte Faust, Fahnen usw.

Höchst überzeugend und innerhalb der o.g. BRD- und DDR-Forschungen undenkbar ist die informative Nüchternheit, mit der aus der Fülle der Quellen ein deutliches, fast stets völlig unparteiisches Bild jener fernen Kampfphase der Weimarer Republik gezeichnet wird, selbst in einem Abschnitt, dessen Titel eine zugespitzte Interpretation erwarten lassen könnte: „Von der Siegesstimmung zum Führerprinzip – der Herbst 1926.“ Die Archivrecherche hat allerdings auch eine solche Flut von Material erbracht, dass ein parteiischer Forscher um der Raffung willen leicht der Versuchung hätte nachgeben können – oder müssen? -, ein Gutteil zu unterdrücken, der im Widerspruch zum jeweiligen Forschungstrend bzw. –ziel steht, wie etwa das deprimierende - dem “bürgerlichen Kastengeist“ entlehnte - „Kommando-Reglement”, das zum Bedauern der Leitungen von den Mitgliedern teilweise nicht diszipliniert befolgt wurde, was den Leser befriedigt. Der Autor lässt sich auch hier wiederum nichts anmerken, was noch mehr befriedigt, da die Interpretation dem Leser überlassen wird.

Ein Übergehen oder Marginalisieren solcher Erscheinungen ist hier nicht geschehen und begründet u.a. den enormen Umfang der Arbeit, allerdings wohl auch vorauszusehende Probleme einer Veröffentlichung, um deren Kürzungsnotwendigkeiten der Autor nicht zu beneiden ist.

Die "Symbol"-Teile sind jeweils sinnvollerweise mit der politischen Geschichte des RFB verknüpft, da von ihr offenbar ausgelöst und vermittelt, wobei die Konzentration auf bestimmte Regionen (Gau Wasserkante, Bremen) sowohl forschungs-ökonomisch wie auch vermittlungstaktisch unbedingt einsichtig ist.

Teil III schließlich ist nach fast 500 Seiten die eigentliche thematische "Seele" der Arbeit, eine 200seitige Darstellung des Instrumenten-, vornehmlich Schalmeien-Spiels in der Fest- und Agitationskultur des RFB. Hier geht es dem Autor darum, u.a. in Aufarbeitung der […] vorgeführten historischen und weiter festgehaltenen Illusionen bzw. Ideologien die Widersprüche, Diskussionen oder unterschiedlichen Praktiken am Beispiel Liedauswahl, Ernsthaftigkeit und politische Programmatik zu dokumentieren und zusätzlich noch der Parole "Musik als Waffe" nachzugehen, auch in der Darstellungsform auf dem neuen Medium Schallplatte. Nicht erst hier, aber auch hier werden alle aufgeführten Ideologien widerlegt […], etwa diejenigen, die "Nazis" hätten die Kapellen verboten oder gar deren Praxis "gestohlen", wobei das Fehlen einer politischen Theorie als Arbeitsbasis, in anderem Falle sicherlich ein Manko, hierfür die notwendige Voraussetzung ist, was auch aus den bedenklichen Folgen solcher Theorien als Basis gerade für dieses Thema zu schließen ist, wie sie schon bei der anfänglichen Diskussionen des "Forschungsstandes" deutlich wurden.

Das minutiöse Abwandern der genannten Aspekte am reichen Material des Gaues Wasserkante/Bremen zeigt, vor allem in Hinblick auf die Organisations-, Richtlinien- und Wehrsport-Manie, die eklatanten Widersprüche innerhalb der KPD selbst, die unter Leitung Moskaus zur Schwächung und teilweise auch Auflösung der Kapellen und zu einer veränderten Einstellung zur Funktion und Bewertung des Massenliedes führten. Auch die Exemplifizierung durch zahlreiche durch zahlreiche zeitgenössische Abbildung ist hervorragend geraten. Nicht zuletzt kann dieser gesamte Teil als Spezialstudie zum Thema politisches Lied gewertet werden.

Um abschließend die herausragende Qualität der Arbeit zu akzentuieren und somit die Empfehlung zur Annahme der Arbeit als Promotionsleistung zu stützen, wäre zu fordern, dass derlei auf dem Felde der an Forschungstätigkeit zu reichen "klassischen" Kunstmusik auch einmal ans Licht des Tages treten sollte, und zwar auf einem Gebiet, das von "Politischem" ebenso berührt und gelenkt ist wie im Falle des RFB. Dieser Forschungszweig könnte sich glücklich preisen, läge etwas Vergleichbares vor für z. B. die Geschichte des öffentlichen Konzertes oder des Männerchorgesanges zu Beginn oder zum Ende des 19. Jahrhunderts. Hier könnte Werner Hinzes Leistung Vorbildcharakter tragen. Im Bereicht der politischen Musikkultur der deutschen Arbeiterklasse dürfte sie wohl noch für lange Zeit einmalig bleiben.


Prof. Dr. Peter Schleuning

Tonsplitter2.jpg


Dienstleistungen 
Liedersuchdienst/
Archiv   
Publikationen

Neuerscheinungen
Liederbücher
Das Taschenliederbuch 
Das kleine Liederbuch
Liedbiographien
Wissenschaftliche Reihe
Zeitdokumente
Vorschau
Sonstige
Publikationen
PK0101-4web.jpg
PK0202-4web.jpg
 
            > Wir über uns     > Kontakt     > Bestellung     > Gäste     > Netzwerk   
















Home  
Aktuelles / Termine
Liederwerkstatt
Die Monarchen
Hamburger Volksliedarchiv
Tonsplitter Zeitschrift
Tonsplitter des Monats
Musik von unten
Antiquariat

Historische Dokumente
Folkrevival in Slowenien?
Slowenien nach dem Krieg

Graphikdesign

T o n s p l i t t e r
Reinh-4-6bx.bmp
Verlag, Volksliedarchiv,  musikalische und  wissenschaftliche  Darbietungen