Notensalat mit Geilwurz
Lobeshymnen 3:
(DVA-Lob Fortsetzung:)
Bevor der Liederteil des Büchleins
mit den „Küchenliedern“ abschließt, ist
den sogenannten „Fröhlichen Fälschern“
ein eigenes Kapitel gewidmet. Es speist sich aus Liedern und
umfangreichen Textpassagen aus dem Liederbuch
für Fröhliche Fälscher des bereits erwähnten Emil Jacobsen, das
1878 vom Allgemeinen Verein zur Verfälschung von
Lebensmitteln herausgegeben wurde. Hier erfahren wir, dass man
Tee mit dem heimischen Ehrenpreis
„kunstfälschte“, dass feiner Canarie-Zucker
mit Mehl gestreckt wurde, dass das „Brausewasser“
beim Öffnen der Flasche desto effektvoller knallt, je mehr
die Kohlensäure mit „atmosphärischer
Luft“ vermischt wurde, und dass Vitriolöl
(Schwefelsäure, heute Lebensmittelzusatzstoff E 513) nicht
nur von Krämern zum Strecken von Essig, sondern auch von
ungewollt schwangeren Mägden als beliebtes Gift beim
Suizid verwendet wurde.
Die Leidenschaft Werner Hinzes für
die Lieder und ihre kulturhistorischen Hintergründe ist
spürbar und ansteckend. Sie tröstet hinweg über
verschiedene Mängel in Satz, Druck und Quellenangaben. Es
sind besonders die vielfältigen Informationen rund um das
weite Feld der „Lieder der Küche und
Küchenlieder“, die das bunte Potpourri so
interessant machen. Wie auch in den vorhergehenden beiden
Bänden seiner Liederbuchreihe verleiht Hinze den Liedern
dieses Bändchens mit verschiedenen Illustrationen,
zeitgenössischen Stichen sowie Fotografien von Pflanzen
und wichtigen Gegenständen der Alltagskultur, besonderes
Leben. Unter den Fotografien finden sich zu den grausigen
Mordgeschichten der „Küchenlieder“ auch
Bilder, die Hinze selbst als „Leierkastenmann“
zeigen. Nicht zuletzt enthält das Lexikon Beschreibungen
relevanter Museen inklusive Adressen und Öffnungszeiten.
Übrigens: Mit „Geilwurz“
ist die Petersilienwurzel gemeint, von der man annahm, sie
fördere, gesotten in weißem Wein, bei unfruchtbaren
Frauen die Empfängnis. Besser bekannt und hier
namensgebend ist die vermeintlich potenzsteigernde Wirkung beim
Mann. Heut weiß man, dass das in der Petersilie
enthaltene Anethol bei entsprechend großer Menge zu einem
heftigen Rausch oder zu erotischen Fantasien führen kann.
„Geilwurz“ wurde von Frauen aber auch als
Verhütungs- und Abtreibungsmittel verwendet - mit
gelegentlich tödlicher Wirkung. Dafür verantwortlich
ist eine höhere Dosierung des Stoffes Apiol, der in der
Tat zu Frühgeburten führt und nierenschädigend
ist. Dies wird im Lexikon erklärt (S. 121f.) und
ausdrücklich nicht zur Nachahmung empfohlen.
Zusammengefasst sind diese Wirkungsweisen es
„Geilwurz“ in dem Spruch: „Petersilie hilft
dem Mann aufs Pferd, / der Frau aber unter die
Erd’.“ Dem Notensalat
mit Geilwurz hingegen
wünschen wir einen bei Mann und Frau gleichermaßen
gut gewürzten und garantiert ungefährlichen Genusse.
Hedo Holland im „folkmagazin“
Nr. 263 (Heft 1/2006)
achtete mehr auf die Tänze und kam
abschließend zum Urteil, dass es eine Zusammenstellung
sei, „die zum Schmökern, zum Lernen, zum Singen und
zum Festgestalten mit diesem Material reizt“.
Jürgen Brehme, in Folker Nr. 4.06
Werner Hinze, Liederforscher und
-archivar, besonders der Lieder "von unten", zeigt
mit diesem Buch noch eine ganz andere Seite von sich: Er kocht
und isst gern. Also greift er aus seinem Archiv alle
möglichen Lieder heraus, die mit leiblichen Genüssen,
mit Speisen und Verzehrbarem zu tun haben. Dem eigentlichen
Küchenlied gibt er zum Schluss noch eine Extraabteilung.
Dabei scheut er vor keiner Quelle zurück, traditionelle
Lieder ab dem 11. Jahrhundert, Lieder des letzten Jahrhunderts,
Mozart, dazwischen ein paar Gedichte … - vor allem vom
Fressen und Gefressen werden.
Obwohl die Zusammenstellung -
anspruchsvoll graphisch umgesetzt - schon vergnüglich und
appetitanregend genug ist, bleibt es nicht beim Liederbuch.
Angeschlossen ist noch eine Art amüsantes Lexikon, in dem
Werner Hinze Einiges zum Hintergrund der Lieder und der
verwendeten Begriffe beisteuert. Die küchentechnischen
Details werden von Dagmar Wienrich kulturgeschichtlich und
botanisch erläutert. Das Wissen zu Wermut, Tabak, Holunder
und vielen anderen, eher ungewöhnlichen Stichpunkten
lässt mich immer wieder mit Vergnügen und Wissbegier
zu diesem Buch greifen. Natürlich Rezepte, die gibt es
auch; aber diese sind nur von der ganz besonderen Sorte.
Wiesen-Bärenklau-Stiele mit Knoblauch, das muss man nicht
unbedingt probieren. Das Buch aber ist einen lohnenden Versuch
wert.
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