Lobeshymnen zu:
Johann Most und sein Liederbuch
Neu ist ein großes Lob aus dem
Institut für Musikalische Volkskund der Universität
zu Köln in ihrem Heft „ad marginem 78/79 -
2006/07“ (S. 18f.) von Gisela Probst-Effah:
Johann Most (1846-1906), einer der
aktivsten Agitatoren der sozialrevolutionären Fraktion der
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Redakteur
verschiedener Zeitungen der Arbeiterbewegung und einige Jahre
lang Abgeordneter im Deutschen Reichstag, war eine schillernde
Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts. Seine politischen
Überzeugungen und Handlungen brachten ihm häufige
Verhaftungen und Gefängnisaufenthalte ein. Nach dem
Inkrafttreten des „Sozialistengesetzes“ im Oktober
1878 wurde er aus Berlin ausgewiesen. er emigrierte nach
Frankreich, wo er aber ebenfalls unerwünscht war und bald
abgeschoben wurde, und zog weiter nach England. Politisch
radikalisierte er sich zunehmend und wurde deshalb aus der
deutschen Sozialdemokratie ausgeschlossen. Wegen
extremistischer politischer Äußerungen in der von
ihm gegründeten Zeitung Freiheit wurde er mit Zwangsarbeit und
Isolationshaft bestraft. Ende 1882 entschloss er sich zur
Auswanderung in die Vereinigten Staaten. Innerhalb der
amerikanischen Arbeiterbewegung gewann er schnell an Einfluss,
er wurde jedoch auch in den USA wegen seiner anarchistischen
Gesinnung angefeindet, der „geistigen
Brandstiftung“ angeklagt und mehrmals inhaftiert.
Most exponierte sich auch als Herausgeber
eines Liederbuches und Textverfasser politischer Lieder -
einige seiner von ihm so genannten „Reimereien“
sind in der Einleitung dieses Bandes wiedergegeben (S. 24 ff.).
Sein Neuestes
Proletarier-Liederbuch von verschiedenen Arbeiterdichtern erschien 1873 in Chemnitz. Gegenüber
früheren Publikationen führte es - so Hinze -
„einen radikaleren, revolutionäreren Ton in den
Gesang der Arbeiterbewegung ein“ (S. 9). Die Absicht
seines Liederbuchs begründete Most mit negativen
Erfahrungen in den Arbeitervereinen: „Man hörte
fortwährend von der ‚lieben Heimath, in der es
schön’ sein sollte, von einem ‚Brunnen vor dem
Thore’, von der ‚heiligen Nacht’, vom
‚lieben Gott’, der ‚durch den Wald’
geht und ähnlichem Schnickschnack… Ich fühlte
instinktiv, dass ein Arbeiter-Verein einen ganz anderen Beruf
haben sollte, als die Pflege von geleiertem Gefasel und
gefaseltem Geleier“ (S. 8).
Erwartungsgemäß gab es Verbote
einzelner Lieder oder des gesamten Liederbuchs. Dennoch fand
die Sammlung breite Resonanz und wurde mehrfach aufgelegt. Das
vorliegende Heft, das ca. 50 Lieder aus dem Zeitraum zwischen
der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in Mosts Gegenwart umfasst,
basiert auf der dritten Auflage, erweitert um Ergänzungen
der fünften Auflage. Mosts Liederbuch enthielt - wie
damals üblich - keine Noten, sondern bestenfalls
Melodieangaben. In seinem einleitenden Kapitel erläutert
Hinze anhand des einst populären Hetzliedes Wacht am Rhein und
im 19. Jahrhundert beliebten Studentenliedes Crambambuli das vor
allem im Bereich politischer Lieder gängige
Parodieverfahren. Die martialische Wacht am Rhein aus der Mitte
des 19. Jahrhunderts mit dem Text von Max Schneckenburger und
der Melodie von Carl Wilhelm wurde häufig parodiert; drei
Umtextierungen finden sich in Mosts Liederbuch, weitere gibt
der Herausgeber in seiner Einleitung wieder.
Diese verdienstvolle, sehr engagiert
gestaltete Neuauflage des Liederbuchs wird u. a. ergänzt
durch einen lexikalischen Anhang, der über die Lieder,
ihre Textverfasser und Melodien informiert.
Jürgen Brehme, in Folker 4.06
Er erfüllt sich einen lang gehegten
Wunsch mit diesem Werk und lieferte uns eine kleine
Offenbarung. Würde man ihn heute einen politischen
Liedermacher nennen, den radikalen Sozialisten des 19.
Jahrhunderts, den Johann Most? Den heute keiner mehr kennt,
obwohl sein Neuestes Proletarier-Liederbuch 1873 ziemlich am
Anfang einer liedreichen Zeit der sozialen Kämpfe in
Deutschland stand. Most hat für seinen Zweck, wie damals
üblich, hemmungslos Dichter, Komponisten und Traditionen
geplündert, um sich und seinen Mitstreitern agitatorische
und verbündende Stimme zu geben. Eindeutig ging es vor
allem um (klassen)kämpferischen Inhalt - ein Liederbuch
voller Lieder, deren Melodien oft noch bekannt sind, die heute
aber kaum noch einer (so) singen würde.
Dabei entführt uns die Liedsammlung
in die geistige Welt der beginnenden Sozialdemokratie, der
Sozialistengesetze und der proletarischen Internationale, also
in unsere Geschichte. Hinze hat dazu anschaulich aus dem
bewegten Leben des frühen Sozialdemokraten erzählt,
die Lieder den Zeiten und Ereignissen zugeordnet. Bei der
angefügten Liedanalyse und den Anmerkungen beeindruckt,
wie detailgetreu und sorgfältig mit Quellen umgegangen und
sinnvolle Verbindungen eingegangen werden. Ein Liederbuch
für die Bildung, beim Liederlesen kam mir, als gelerntem
Arbeiterliedsänger (ja,ja, DDR-Vergangenheit), schon
manchmal die Versuchung, den schmetternden Texten Melodie zu
geben. Trotz alledem - der Staat ist in Gefahr.
Frank Effenberger, in Likedeeler
Alle Räder stehen still, wenn dein
starker Arm es will.
John Most's Liederbuch erinnert an die
Kraft einer organisierten Arbeiterschaft
Ende 2005 wurde im Verlag
"Tonsplitter" Johann Mosts "Neuestes
Proletarier-Lieder-Buch" aus dem Jahr 1873
wiederaufgelegt. Mosts Liederbuch gehörte mit zu den
ersten deutschsprachigen Arbeiterliederbüchern, die
herausgegeben wurden. Nicht lange nach dem Erscheinen
vermeldete der Österreichische Staatsanzeiger, dass die
Liedersammlung und alle weiteren Texte Mosts verboten seien.
Werner Hinze, der Herausgeber der
Neuauflage, beschreibt Most als einen der beliebtesten und
aktivsten Agitatoren der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei.
Mit zahlreichen Zitaten aus Mosts Memoiren dokumentiert Hinze
den beißenden Humor des Agitators. So berichtet Most von
seiner ersten Bekanntschaft mit dem damals noch recht zahmen
Arbeiterbildungsverein u.a. so: "Man hörte
fortwährend von der 'lieben Heimath, in der es schön'
sein sollte, von einem Brunnen vor dem Thore', von der
'heiligen Nacht', vom 'lieben Gott', der 'durch den Wald' geht
und ähnlichen Schnickschnack dermassen gröhlen, dass
man leicht begreifen konnte, warum und wieso sich die Vereine
gegen Thierquälerei rapid vermehrten." Kraft seiner
Ideen, Worte und Schriften versuchte Most dem Verein einen
kämpferischen Charakter zu geben. Kundgebungen und
Aktionen in kleinen Städten mit hunderten Teilnehmern
zeugen von seiner Fähigkeit dazu und auch wenn man heute
seine Texte liest, kann man sich von seiner Wut auf die
Ungerechtigkeiten noch anstecken lassen. 1870 wurde er im
Wiener Hochverratsprozess zu einer Haftstrafe verurteilt.
Während dieser Zeit dichtet er verschiedene Zeilen, die
ebenfalls im Buch abgedruckt wurden. Most war dann ab 1871 in
der von Wilhelm Liebknecht und August Bebel 1869
gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei
tätig. Mit der Zeit nahm er immer stärker
anarchistische Positionen an, so dass er beim Parteikongress im
Schloss Wyden 1880 aus der Partei ausgeschlossen wurde. Leider
reißt im Vortext des Buches der rote Faden durch eine
etwas sprunghafte Gliederung manchmal ab. Die biographischen
Notizen zu Johann Most, der kurze Abriss der ersten
Arbeiterliederbücher und die Anmerkungen zum
dokumentierten Liederbuch sind verteilt über zwei Kapitel.
Es folgt ein sehr amüsant zu lesendes Kapitel zur Nutzung
des Liedgutes bei einer politischen Aktion dem sich eine stark
gegliederte Abhandlung des oft bei den Liedern genutzten
Parodieverfahrens anschließt.
Dokumentiert wird schließlich die
dritte Auflage des Liederbuches aus dem Jahre 1873,
ergänzt durch einige Lieder aus der fünften Auflage.
Im eigentlichen Liederbuch stammt nur ein Lied direkt von Most:
"Die Arbeitsmänner". Das Lied war laut Werner
Hinze so etwas wie die Hymne der damaligen Sozialdemokraten.
Darin hieß es in der vierten Strophe:
"Rafft Eure Kraft zusammen,
Und schwört zur Fahne roth!
Kämpft muthig für die Freiheit!
Erkämpft Euch bess'res Brod!
Beschleunigt der Despoten fall!
Schafft Frieden dann dem Weltenall!
Zum Kampf, ihr Arbeitsmänner,
auf, Proletariat."
Dieser Pathos ist uns heute sicher fremd.
In der damaligen Zeit waren es jedoch nicht nur Worte, sondern
es war Ausdruck des Kampfeswillens, dem wir heute zum Beispiel
den Acht-Stundentag und andere soziale Errungenschaften zu
verdanken haben. Insgesamt ist das Lied ein Beispiel für
die vielen identitätsstiftenden Texte der gesammelten
Lieder, in denen die Arbeit der Proletarier, ihre Kleidung und
ihr Stolz auf Beides zum einen und zum anderen die Ausbeutung
der Klasse und der Widerstand dagegen besungen werden. Neben
den Forderungen nach Brot taucht auch immer wieder die
Forderung nach Freiheit auf. Nicht im bürgerlichen Sinne,
bei der die individuelle Freiheit unter Ausblendung sozialer
Fesseln gemeint ist. Auch heute noch relevant erscheint mir da
vor allem das Lied "Frisch auf, Cameraden!" (siehe
Kasten)
Der ausschließliche Bezug auf
Männer in den gesammelten Arbeiterliedern ist heute
zumindest bei sozial engagierten Menschen sicherlich nicht
mehrheitsfähig, war aber im damaligen Gesellschaftskontext
normal. Hierfür stehen auch die bekannteren Zeilen aus
Strophe 10 des "Arbeiterliedes":
"Mann der Arbeit aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn dein starker Arm es will."
Im Vortext wird immerhin der
"Arbeiterinnen-Weckruf" dokumentiert. Hier ist ein
früher Emanzipationswillen zu spüren:
"Nicht nur das Haus sei Eure Welt,
Der Kochtopf nicht Euer Feld.
Am öffentlichen Leben Ihr
Sollt Euch betheil'gen für und
für.
Brecht eine Bahn dem freien Geist;
Er ist's, der alle Fesseln reißt.
Auf, stellt für Freiheit,
Gleichheit Euch zum Kampf",
der in der letzten Strophe mündet,
sich an die Seite der Männer zu stellen und mit ihnen
gemeinsam zu kämpfen. Damit sicherlich noch nicht das
i-Tüpfelchen in der bis heute nicht existierenden
Gleichberechtigung, aber immerhin ein Beginn. Von den 55
Liedern des Liederbuches sind einige 1998 aus Anlass der 1848er
Revolution in Deutschland von der Leipziger Folk Session
hervorragend vertont worden. So zum Beispiel das Lied "Ob
wir rote, gelbe Kragen", indem weniger die
Zugehörigkeit zu einer Klasse bewertet wird, als vielmehr
der Wille zur Veränderung als einendes Element in
Erscheinung tritt. Oder "Trotz alledem" (auch von
Hannes Wader umgedichtet), in dem der Einfachheit und
Brüderlichkeit mehr Wert beigemessen wird als dem Rang und
Titel.
Als sehr interessant erweist sich der
Anhang des Buches. In ihm werden die Lieder und ihre Dichter
kurz besprochen. So erfährt man beispielsweise vom Lied
"Der Staat ist in Gefahr", dass es damals bei
"Lärm-Demos" gesungen wurde. Von Harro Paul
Harring, der das Völkerbundlied geschrieben hat, dass er
von radikalen Burschenschaften stark geprägt wurde.
Oder dass das "Lied der Arbeit"
bei seiner Uraufführung von 90 Sängern vor 3000
Besuchern gesungen wurde...
Insgesamt lässt das Buch die
Stärke und den Bewusstseinsstand der damaligen Arbeiter
erahnen und einige Anregungen für heute bietet es
sicherlich auch.
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